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Gastbeitrag: Kreativität planen

Oft werde ich gefragt: Woher bekommst du eigentlich deine Ideen? Es wäre etwas kurz gegriffen auf die literarische Muse zu verweisen, die einen Autor bisweilen küsst – oder auch nicht – und von der alles stammt. Hin und wieder mag es auch dieser geniale Einfall sein, der aus dem Nichts zu kommen scheint, doch gemeinhin ist man, nach meiner Erfahrung, als Autor besser beraten, seinen Ideenstrom und seine Schöpferkraft zu planen und zu managen. Hundert Ideen auf einmal nützen fast genauso wenig wie keine Einzige über Wochen hinweg.
Um seine eigene Kreativität zu steuern, hilft es sehr, sich zunächst klar darüber zu sein, was menschliche Kreativität eigentlich ist und wo sie herkommt.

Im Gegensatz zum landläufigen Vorurteil, kommen die Ideen weder aus dem Nichts noch aus einem selbst. 99% der Einfälle, die wir Menschen auf den Tisch bringen, sind Kombinationen von bereits existierenden Dingen.

Dampfmaschine + Kutsche = Auto

… und dergleichen. Ob der menschliche Geist überhaupt zu dem 1% völlig originärer Ideen fähig ist, bleibt umstritten.

Das nimmt allerdings eine große Menge Druck von unseren Schultern. Wir müssen nicht die eine zündende, nie dagewesene Idee haben, die noch nie einer hatte. Es genügt, wenn wir bereits bekannte Elemente neu kombinieren, zusammenwürfeln und modifizieren. Schaut man sich die erfolgreichsten Serien und Filme der letzten Jahrzehnte an, erkennt man schnell, wie hier eigentlich nur gut kombiniert und spannend aufbereitet wurde.

Wenn es also nicht notwendig ist etwas völlig Neues aus dem Boden zu stampfen, kann ich Techniken gezielt anwenden, um Ergebnisse zu erhalten. Die bekannteste Technikgruppe dabei ist natürlich das »Brainstorming«. Wörter, Gedanken, lose Fetzen von Information, egal was das Gehirn anbietet, man kann es aufschreiben und dann Verbindungen suchen, Assoziationsketten bilden und auf diesem Weg zu einer neuen Idee gelangen. Das geht schnell und mit etwas Training spielerisch von der Hand. Mehrfach durchgeführt kann ich dann mit den Ergebnissen wieder neu assoziieren oder mir meinen besten Ansatz aussuchen, um damit weiter zu arbeiten.

Wenn man nach Arthur Köstler geht, kann man anstatt mit Assoziation auch mit Bisoziationen arbeiten – gezielte Suche nach Dingen, die nicht miteinander verbunden sind. Solche nicht verketteten Begriffe zu erhalten, kann mitunter sehr schwierig sein, weil unsere Gedanken nun einmal verbunden sein wollen. Wenn man aber bisher unverbundene Sachen zusammenbringt, kann das zu genialen Ideen führen.

Es gibt aber auch Hilfsmittel, die einem helfen können. Ich habe viele Ideen mit Rory’s Story Cubes entwickelt – ich habe inzwischen fast alle der kleinen Bildwürfel. Eigentlich sollen sie als Anregung zum Geschichtenerzählen für Kinder dienen, aber genauso gut kann man mit den Bildern Assoziationsketten bilden, die zu Handlungssträngen für einen Roman oder eine Kurzgeschichte werden.

Ähnlichen Effekt kann die Google-Bildersuche haben, denn eine detaillierte Abbildung erzählt oft jedem Betrachter eine andere Geschichte. Oder man schaut durch die Illustrationen in Bildbänden, Brettspielen und Concept Art für das Lieblingscomputerspiel. Und wollen einem trotz der Bilderflut keine Ideen kommen, kann man immer noch davon träumen.
Natürlich kann ich darauf hoffen, dass mir des Nachts im Traum das Bild wieder einfällt, und ich mich nach dem Aufwachen noch daran erinnern kann. Sicherer ist es allerdings, das Träumen auf den Tag zu verlegen. Bewusst in ein Bild eintauchen, sich vorstellen man steht in dem Gebäude, auf dem Berg oder zwischen diesen Kriegern, erlaubt es einem, von den eigenen Schritte zu träumen. Fragen zu stellen. Was ist wohl hinter dem Baum? Wohin komme ich, wenn ich diese Tür durchquere? Worum geht es in diesem Streit?

Je lockerer man an diese Fragen herangeht, je offener das eigene Unterbewusstsein mit den Bildern und Eindrücken arbeiten darf, umso freier und interessanter werden auch die Ideen. Und je häufiger man Tagträume dieser Art, kleine Traumreisen praktisch, durchführt, umso einfacher wird das Spiel und die Ideen fließen irgendwann von ganz allein.

Leider ist nicht jede Idee auch eine gute Idee. Oder sogar eine großartige. Viele Einfälle sind sogar schlecht, oder nur so lange gut, bis man ein zweites Mal darüber nachdenkt. Wie also die guten Ideen herausfiltern? Oder sogar die großartigen? Ein Patentrezept habe ich in den letzten Jahren zwar nicht gefunden, aber es gibt zwei Anzeichen für gute Ideen: Sie sind auch morgen noch gut und überleben den Kontakt mit anderen Menschen. Wenn man nach dem darüber-schlafen mit dem Geistesblitz noch etwas anfangen kann, ist das schon mal ein guter Indikator. Für den zweiten Schritt braucht man jedoch Hilfe.
Manche Autoren schrecken davor zurück, jemand anderen an den eigenen Ideen teilhaben zu lassen. Böswillig, wie die Menschen sind, könnten die Fremden ja den genialen neuen Ansatz einfach stehlen! Nach meiner Erfahrung ist diese Sorge jedoch völlig unbegründet: Die meisten Leute haben nicht das Durchhaltevermögen, um eine eigene Geschichte, einen Roman oder ein Drehbuch zu schreiben. Und die allermeisten Autoren sind voll mit eigenen Ideen und Projekten und haben keine Zeit auch noch die Ideen der anderen zu klauen. Also ruhig raus mit dem Einfall und im persönlichen Gespräch herausfinden, ob er was taugt.

Geistesblitze, Erleuchtungen, Inspiration – all das ist planbar und lässt sich steuern. Die richtigen Hilfsmittel für sich zu finden und die kreativen Muskeln zu trainieren, sind dabei logische Schritte auf dem Weg zum Ideenfeuerwerk. Wichtig ist, sich nicht davon einschüchtern zu lassen, dass, vor allem zu Beginn, die Gedanken noch nicht brillant und die Einfälle noch nicht einzigartig sind. Das kommt mit der Zeit und Übung. Und man muss nicht das Rad neu erfinden. Manchmal genügt es, wenn man Zauberer auf die Highschool schickt.

Über den Autor: Francis Bergen, 1984er Mathematiker und Autor aus Oberhausen, bezieht seine kreative Energie aus seiner unstillbaren Neugier. Seit er sich 2002 mit Rollenspielen auseinander zu setzen begann, schreibt er Kurzgeschichten und Gedichte aus einem breiten Genrespektrum. Sein erster Fantasyroman „Der steinige Weg Freiheit“ ist im August 2017 erschienen, seine Kurzgeschichten kann man auf seiner Webseite und in der einen oder anderen Anthologie lesen.
Mehr zu seiner Arbeit findest du hier.

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