Was ist positives Schreiben?
Positives Schreiben – das klingt nicht nach etwas, das für düstere Werke gedacht ist. So etwas brauchen wohl eher die Schöpfer*innen fluffiger Romanzen oder leichter Komödien.
Richtig?
Falsch.
Positives Schreiben meint nicht, den Inhalt positiv zu gestalten, sondern genau die Stimmung zu Papier zu bringen, die man erzielen möchte – indem man auf Verneinungen verzichtet.
Natürlich ist es unmöglich, völlig ohne Verneinungen auszukommen. Aber es ist möglich, sie gezielt zu reduzieren. Und, mit etwas Übung, sogar, sie gezielt einzusetzen, um das Lesegefühl zu manipulieren.
Woher kommt positives Schreiben?
Der Ansatz kommt eigentlich aus der Medizin. Speziell Menschen, die sich mit Angststörungen oder Panikattacken auseinandersetzen müssen, haben eventuell schon davon gehört. Der simple Hintergrund:
Unser Angstzentrum ist unfähig, Verneinungen zu verarbeiten.
Das grobe Konstrukt ist recht simpel: Jede Information unserer Umwelt, wird von unserem körpereigenen Angstzentrum, der Amygdala, geprüft. Alles, was wir sehen, hören, riechen, fühlen und schmecken, wird auf Bedrohungen untersucht. Dieser Vorgang sichert unser Überleben, denn so ist es möglich, ohne Verzögerung auf jede Bedrohung zu reagieren.
Damit das schnell genug vonstattengeht, fallen dabei allerdings einige Details unter den Tisch. Unter anderem Verneinungen. Worte wie „nicht“ oder „kein“ rutschen im Angstzentrum zwecks schnellerer Verarbeitung durchs Raster.
Das ist der Grund, warum man jemandem mit einer Panikattacke niemals sagen sollte, dass „nichts passiert“ oder die Situation „nicht gefährlich“ sei. Sagt ihm*ihr lieber es ist „alles in Ordnung“ oder er*sie ist „sicher“.
Dasselbe gilt für eure Leser*innen.
Ein Beispiel für positives Schreiben
Lasst uns einmal ausprobieren, wie sich diese Theorie in der Praxis auswirkt. Betrachten wir diese kurze Szene:
Shirin kniete sich neben Kim auf den Boden. „Es ist nichts passiert“, flüsterte sie. „Keine Sorge, wir sind nicht mehr in Gefahr.“
Und jetzt dieselbe Mini-Szene noch einmal ohne Verneinungen:
Shirin kniete sich neben Kim auf den Boden. „Es ist alles in Ordnung“, flüsterte sie. „Beruhige dich, wir sind sicher.“
Rein inhaltlich ist es zweimal dieselbe Situation. Aber wirkt sie auch gleich?
Mit einem so kurzen Ausschnitt ist der Effekt relativ gering, aber auch hier wird schon klar: Im ersten Fall spürt man beim Lesen eine gewisse Beklemmung, während man beim zweiten eher Erleichterung wahrnimmt. Das hängt mit der Verarbeitung im Angstzentrum zusammen.
In der ersten Fassung verarbeitet unser Unterbewusstsein aus Shirins Redebeitrag in erster Linie die Worte „passiert“, „Sorge“ und „Gefahr“. Diese Begriffe verbinden wir automatisch mit einer potenziellen Bedrohung. Unser Unterbewusstsein begibt sich in Alarmbereitschaft.
In der zweiten Fassung verarbeiten wir „in Ordnung“, „Beruhige dich“ und „sicher“. Diese Begriffe verbindet unser Unterbewusstsein mit Sicherheit und signalisiert dementsprechend Entspannung.
Einsatz von positivem Schreiben im Text
Was kann ich nun damit anfangen?
In erster Linie ist diese Erkenntnis sehr wertvoll, wenn es um das bewusste Erzielen einer bestimmten Wirkung geht. Es verdichtet die Atmosphäre, wenn man gezielt Verneinungen vermeidet und direkt Worte benutzt, welche die Stimmung stützen.
Wichtig hierzu: Die berühmt-berüchtigten Wortfelder, mit denen meine Grundschullehrerin uns regelmäßig bombardiert hat (schon damals zu meiner großen Freude). Als Hilfestellung kann man sich hier Wortfelder zur jeweiligen Stimmung erstellen und darin Adjektive, Substantive und Verben sammeln, die zur Atmosphäre beitragen.
Umgekehrt kann man natürlich auch gemein sein und den Leser gezielt manipulieren.
Wenn wir uns an die kleinen Beispiele erinnern: Die erste Variante mit Verneinungen ist keineswegs um jeden Preis zu vermeiden – im Gegenteil. In einer scheinbar entspannten Situation kann man als Autor*in das Alarmsystem der Leser*innen am Laufen halten. Man hält die Anspannung aufrecht, obwohl die Leser*innen glauben, die Situation habe sich entspannt. Schließlich steht da doch, dass nichts passiert ist, nicht wahr?
Fazit
Halten wir also fest: Unser Angstzentrum hat viel zu tun und arbeitet deshalb nur mit einem groben Raster. Dieses Raster können wir als Autor*innen für uns nutzen. Wichtig hierbei sind Verneinungen wie „nicht“ oder „kein“. Sie fallen durch das Raster und bleiben unverarbeitet.
Entsprechend der verarbeiteten Information reagiert das Unterbewusstsein – auch beim Lesen. Egal, was das Bewusstsein wahrnimmt, die Feinheiten der Stimmung kommen aus dem Unterbewusstsein.
Ich selbst achte seit einiger Zeit gezielt auf verneinungsfreie Formulierungen und ich kann zwei Dinge darüber sagen:
Erstens trägt es tatsächlich zur Stimmung der Geschichte bei. Man kann seine Leser*innen damit gezielt beeinflussen und eine unterschwellige Stimmung unter dem Offensichtlichen erschaffen.
Und zweitens: Es braucht irre viel Übung.
Verneinungen sind einfach und wir machen es uns, auch beim Schreiben, gerne leicht. Es ist eine Frage ständigen Trainings, „nicht“ und „kein“ nach und nach aus dem reflexartigen Vokabular zu streichen und bewusst einzusetzen.
Aber ich stelle auch fest: Selbst wenn es einige Zeit braucht, positives Schreiben lohnt sich. Ich habe das positive Formulieren ursprünglich für meinen Alltag gelernt und es hat mich sehr weit gebracht. Aber auch beim Schreiben macht es einen spürbaren Unterschied.
In diesem Sinne: Ran an die Tasten! Manipuliert die Stimmung!
Viel Spaß!

Über die Autorin: Judith Greis gehört zu jenen Autorinnen, die seit ihrer Kindheit schreiben. Was mit ersten kleinen Lesungen im Stuhlkreis der Grundschule begann, führte bald zu ersten Romanideen und schließlich zur Welt der Fanfiktions, der sie bis heute treu geblieben ist.
Privat lebt die gelernte Bauzeichnerin direkt am Wald. Trotz hitziger Diskussionen mit den benachbarten Bewohnern der Wildnis ist bis heute ungeklärt, ob bei den Besuchen bei ihrem Freund in der Schweiz die Eichhörnchen oder die Gartenschläfer die Herrschaft über den Lieblingsschreibplatz auf dem Balkon übernehmen.
Mehr zu der Autorin findet Ihr hier.