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Gastbeitrag: Warum sind wir Autorinnen so sadistisch?

(Hinweis: Der folgende Text verwendet das generische Femininum, da die Mehrzahl der schreibenden Personen in meinem Umfeld weiblich ist. Alle anderen sind damit natürlich mitgemeint.)

Unsere Protagonisten haben es nicht immer leicht mit uns. Wir lassen sie leiden, stellen ihnen übermächtige Gegner und Hindernisse in den Weg, geben ihnen unmögliche Aufgaben, nur um sie daran scheitern zu sehen, oder nehmen ihnen alles, was sie lieben. Und viele von uns haben auch noch Spaß daran.

Aber warum eigentlich?

Warum sind wir Autorinnen so sadistisch?

Da auch ich beim Schreiben eine sadistische Ader habe, habe ich mir darüber schon des Öfteren Gedanken gemacht. Und ich bin zu dem Schluss gekommen, dass es auf diese Frage mindestens drei unterschiedliche Antworten gibt:

Antwort Nr. 1: „Ich will das eigentlich gar nicht!“ – Die liebe Autorin

Die liebe Autorin will ihren Protas eigentlich gar nicht wehtun. Aber ohne Tragik gäbe es keinen Konflikt und ohne Konflikt keine Story. Ein bisschen Schmerz muss also sein: Nach dem Prinzip „no pain no gain“ müssen sich die Figuren ihr Happy End „verdienen“. Und die liebe Autorin ist froh, wenn sie endlich das Schlimmste überstanden haben.

Die liebe Autorin ist also gar nicht sadistisch, sie tut nur, was nötig ist. Denn ohne ein paar tragische Szenen wären die schönen Szenen im Kontrast viel weniger schön.

Antwort Nr. 2: „Schreiben ist für mich wie Therapie.“ – Die neutrale Autorin

Die neutrale Autorin hat ein Faible für Psychologie. Auch sie ist nicht (nur) sadistisch, sondern erkundet gern die Tiefen und Untiefen der menschlichen Seele. Sie thematisiert beim Schreiben intensive Emotionen aller Art, und dazu gehören positive ebenso wie negative. Dadurch versteht sie nicht nur ihre Figuren, sondern auch sich selbst immer besser. Viele sagen deshalb, dass Schreiben für sie wie Therapie ist.

Auch ich selbst zähle mich zu diesen neutralen Autorinnen. Schreiben ist für uns ein Vakuum, um eigene Gefühle (die guten und die schlechten) rauszulassen und zu erforschen. Außerdem können wir das Schreiben als „safe space“ nutzen und Szenarien durchspielen, vor denen wir uns fürchten – ohne Angst haben zu müssen, die Kontrolle zu verlieren. Das Schreiben ist somit eine Bewältigungsstrategie von Ängsten und eine Erkundungstour der eigenen Psyche.

Antwort Nr. 3: „Je grausamer, umso spaßiger!“ – Die böse Autorin

Die böse Autorin ist eigentlich die einzig wahre Sadistin in unserem Trio. Sie liebt den Reiz des Verbotenen. Sie lebt beim Schreiben ihre dunkelsten Ideen und Fantasien aus, die sie im echten Leben niemals in die Tat umsetzen würde – wie ein verrückter Professor, der sich moralisch fragwürdigen Experimenten widmet.

Es macht ihr Spaß, ihre Figuren, ihre Leser und sich selbst bis an die Grenzen des Erträglichen zu treiben. Vielleicht gibt es ihr sogar einen „Kick“, einen Adrenalinrausch, diese vollkommene Macht auszuspielen. Viele sadistische Autorinnen sind aber zugleich auch masochistisch: Denn sie lieben ihre Figuren und leiden mit ihnen, haben jedoch trotzdem Freude daran.

Zu welchem Autorinnen-Typus gehört ihr? Oder habt ihr vielleicht noch eine ganz andere Erklärung?

Über die Autorin: Antje Bremer, geboren 1995, wohnt und schreibt im schönen Niedersachsen. Die Bücherliebe begleitet sie schon lange: Nach dem Abitur machte sie eine Ausbildung zur Buchhändlerin und studierte anschließend Literaturwissenschaft und Philosophie. Seit Herbst 2020 widmet sie sich hauptsächlich dem Schreiben. Zwei flauschige Katzen leisten ihr dabei Gesellschaft.
Mehr zur Autorin findest du hier und hier.

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Gastbeitrag: Plotting Holes – Überraschungen beim Schreiben

Nun sitzt man da, hat Stunden in die Planung seines Buches investiert und plötzlich taucht es auf: das Plotting Hole – etwas, das man nicht planen konnte und alles auf den Kopf stellt. Man bekommt das Gefühl, alles über den Haufen werfen und neu anzufangen zu müssen. Discovery Writern (Autoren, die wenig plotten) passiert das verhältnismäßig oft, aber auch Plotting-Meister sind vor Überraschungen nicht gefeit. Hier fünf Plotting Holes und wie man mit Schwung drüber springt.

Der spontane Genrewechsel

Eigentlich wollte man einen Krimi im 18ten Jahrhundert schreiben, aber die Zeit ist so faszinierend, dass man einen Historienroman schreibt. Oder die Außerirdischen in dem geplanten Science-Fiction-Buch sind unheimlicher als geplant, sodass man sich mit einem Mal in einem Horrorroman befindet.
Dass Bücher mehr als ein Genre bedienen, ist nicht ungewöhnlich, aber es ist sinnvoll, sich für ein dominierendes Genre zu entscheiden. An einen Krimi habe ich andere Erwartungen als an einen Historienroman und an einen Horrorroman habe ich andere Erwartungen als an einen Science-Fiction-Roman.

Was also tun?

Erstmal solltest du dich fragen, ob es sinnvoll ist, das Genre zu wechseln. Wenn du das ursprüngliche Genre behalten möchtest, kannst du sprachlich zurückfinden. Wenn die Aliens in dem Science-Fiction-Buch angsteinflößend sind, ist das in Ordnung. Es macht aber einen Unterschied, ob ich in einen düsteren Raum voller Schrecken trete oder in einen Raum voller cooler Tech, die mir helfen kann die Aliens zu besiegen.
Das gilt auch, wenn du das Genre wechseln möchtest. Dann bleibt dir nichts anderes übrig, als die ersten Kapitel zu überarbeiten. Manchmal genügt es, die Geschichte mit Elementen des Hauptgenres anzureichern oder einzelne Abschnitte umzuschreiben.
Tipp: Schreibe das (Haupt-)Genre und seine Elemente auf ein Blatt und lege es neben deine Tastatur, um Genrewechsel vorzubeugen.

Der Protagonist entwickelt einen eigenen Willen

Man ist in der Geschichte versunken und sieht die Welt aus den Augen des Protagonisten, doch plötzlich verfolgt der Protagonist eigene Ziele. Die Wege zwischen geplotteter und erzählter Geschichte trennen sich und alles versinkt im Chaos.
Es ist beim Schreiben wichtig, sich immer wieder vor Augen zu führen, was das Ziel des Protagonisten ist. Ich habe einen Zettel neben der Tastatur liegen, auf dem ich die Motivation meiner Charaktere notiert habe. Gefeit ist man vor diesem Eigenleben trotzdem nicht.

Was also tun?

Motivationsänderungen in Büchern sind schwierig. Im Idealfall greift das Ende den Anfang auf. Deswegen solltest du dich fragen, ob das neue oder das ursprüngliche Ziel zu deinem Thema passt. Wenn es das ursprüngliche Ziel ist, solltest du die letzten Schritte zurückverfolgen und schauen, an welcher Stelle du vom Weg abgekommen bist. Es hilft, sich eine kurze Kausalkette zu skizzieren.
Passt das neue Ziel besser zu dem Thema, solltest du den Anfang anpassen. Auch da hilft es, eine Kausalkette zu skizzieren und davon ausgehend zu analysieren, was zu ändern ist.
Tipp: Schreibe eine Liste mit den wichtigsten Charakteren und beschreibe ihre Motivation. Lege den Zettel neben den Genrezettel.

Die Namensfindungsstörung

Die Namen von Figuren beeinflussen, wie man diese wahrnimmt. Dasselbe gilt für Orte. Wenn mein Superheld Tiny heißt, stelle ich mir keinen Bodybuilder vor. Bei einer Stadt namens Glass sehe ich keine Betonwüste vor meinem inneren Auge. Manchmal braucht man eine Weile, bis man den richtigen Namen gefunden hat. Manchmal glaubt man ihn gefunden zu haben und plötzlich hat man eine bessere Idee.
„Suchen und Ersetzen“ wäre die einfachste Antwort, die aber Risiken birgt. Will ich Tiny in Biggy umbenennen und habe ein paar Mal Tiny mit „i“ statt „y“ geschrieben, wird nicht jede zu ändernde Stelle gefunden. Ungünstig ist das insbesondere, wenn man den Namen mehrfach ändert.

Was also tun?

Am besten du schmeißt nicht gleich alles um, sondern probierst den Namen eine Weile aus. Schreib ein paar Seiten damit. Anpassen kannst du immer noch, wenn du fertig bist. Den Trick kannst du auch anwenden, wenn dir kein Name einfällt. Probiere einige Namen aus. Beim Schreiben wirst du schnell merken, ob ein Name passt.

Das Ende ist nah, aber 200 Seiten sind zu wenig/aber 600 Seiten sind zu viel

Die Länge eines Textes kann man schwer plotten. Erfahrungswerte helfen, aber kein Autor weiß vor Beginn des Schreibens, wie viele Wörter der Text am Ende haben wird. Manchmal erzählt sich eine Geschichte schneller und manchmal langsamer, als man denkt.
Es gibt Richtwerte für Romanlängen, aber sie sind keine Gesetze. Trotzdem ist es schwierig einen Roman unter 200 Seiten und über 600 Seiten verlegen zu lassen.

Was also tun?

Erstmal zu Ende schreiben. Kurz vor Ende sollte man nicht alles umschmeißen. Das ist demotivierend und selten von Erfolgt gekrönt.
Wenn du fertig bist, solltest du dich fragen, warum dein Buch so kurz oder lang ist. Wenn es zu kurz ist, kann es sein, dass du zu wenig beschrieben hast und wenn es zu lang ist, hast du das vielleicht zu exzessiv betrieben. Das kann man beim Überarbeiten gut anpassen. Tatsächlich ändert sich die Länge beim Überarbeiten noch einmal.
Zu kurze Bücher kannst auch du mit einem kleinen Nebenplot anreichern.
Aber Achtung! Das birgt die Gefahr vom Thema abzukommen.
Wenn du denkst, dein Buch ist stimmig, kannst du einen Testleser hinzuziehen, um dir sicher zu sein.
Ansonsten: Mut zur Kürze/Länge. Das wichtigste ist, dass man von seinem Buch überzeugt ist.

Und zu guter Letzt…

Ein Plotbunny hoppelt vorbei

Jeder kennt es. Man schreibt und plötzlich hat man DIE IDEE. Dabei kann DIE IDEE eine Idee für einen neuen Roman sein oder etwas sein, das später im Buch passieren soll. Das Plotbunny beißt sich fest und man hat das Gefühl, die Idee direkt umsetzen zu müssen. Konzentration für das aktuelle Projekt? Vergiss es.

Was also tun?

Plotbunnies kann man nicht vermeiden und schon gar nicht ignorieren. Am besten du gibst ihm ein wenig nach. Zum Beispiel könntest du die Idee für den neuen Roman aufschreiben. Manchmal hilft es, schon konkret zu planen, wann man seine Idee umsetzen will. Dasselbe gilt natürlich auch für spätere Kapitel. Die kann man gut in die Plotskizze integrieren.
Wenn das Plotbunny trotzdem nicht loslässt, liegt das Problem woanders. Vielleicht bist du in deinem aktuellen Projekt vor eine Wand gelaufen oder befindest dich in einer Sinnkrise. Statt dem Plotbunny durchs Kaninchenloch zu folgen, solltest du dir eine Auszeit nehmen. Nimm ein Bad, gehe spazieren oder widme dich eine Weile einem anderen Hobby. Wenn du entspannt bist, zieht sich das Plotbunny zurück und wartet auf seinen nächsten Einsatz. Der kommt bestimmt.

Über die Autorin: Katharina Kanzan glaubt, dass Katzen die Welt regieren und Lebensläufe gerne kreativ gestaltet sein können. Daher hat sie alles Mögliche studiert und gelernt. Mittlerweile kritzelt sie beruflich Bedienungsanleitungen und privat am liebsten Artikel, Kurzgeschichten und Gedichte. Vereinzelte Sachen findet man in Anthologien und Zeitschriften, das meiste aber auf ihrem Blog.

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Gastbeitrag: Lesen nein, schreiben… vielleicht doch? Die Crux mit dem Genre

Es ist eine allgemein anerkannte Wahrheit, dass ein tüchtiges Schreiberlein auch ein begeisterter Bücherwurm sein muss. Das sagen schließlich alle, die als Schriftsteller*innen Erfolg haben – in einer Einmütigkeit, dass man schon gar nicht mehr weiß, wer diesen Vater aller Schreibtipps eigentlich erfunden hat. Vielleicht musste ihn auch niemand erfinden, und er ist eben das: eine allgemein anerkannte Wahrheit.
Selbst J.K. Rowling, die sich bei Schreibtipps sehr vorsichtig bis skeptisch gibt, lässt sich zu einem ziemlich plakativen Satz hinreißen: „You can’t be a good writer without being a devoted reader.“
Und ich will auch gar nicht bestreiten, dass Lesen für ziemlich viele Dinge, die ein Schreiberlein haben oder irgendwann entwickeln sollte, ziemlich nützlich ist: Von grundlegenden Kenntnissen in Satzbau und Grammatik bis zu dem sich langsam aufbauenden Gespür für den Effekt einzelner Wörter und den Fluss der Sätze, für Eleganz, Aufrichtigkeit in der Darstellung und den Schock am rechten Platz. Um das zu lernen, ist es eigentlich ziemlich egal, was man liest, solange man aufmerksam und mit allen Sinnen liest.
Aber wie sieht es mit dem Faktor Genre aus? Lernt man beim Lesen auch, wie man ein Genre schreibt? Muss man nicht sogar im eigenen Genre belesen sein?
Für viele stellt sich die Frage gar nicht, und auch für mich hat sie sich lange nicht gestellt.
Einmal, weil ich noch gar nicht mal so alt bin, und als Jugendliche sehr unbedarft gelesen habe. Ich wusste zwar irgendwie, dass die meisten Sachen, die mich interessieren, in dem Regal in der Buchhandlung stehen, das den ominösen Titel „Fantasy“ trägt. Aber die ganzen feinen Unterscheidungen in High, Low, Contemporary, Urban und was-weiß-ich-nicht-für eine Fantasy und Romantasy – für die bin ich erst sensibilisiert worden, als Lesen mehr als nur eine Selbstverständlichkeit wurde, als ich entdeckt habe, dass es da eine eifrig diskutierende Community gibt, die natürlich Kategorien braucht, um über die Dinge überhaupt erst diskutieren zu können. Im Nachhinein kann ich also sagen: Was ich so lese, ist vor allem High Fantasy und Urban Fantasy (und wildes anderes Zeug, nach dem ich nicht suche, worauf ich aber mit der Nase hinstoße).
Aber schon bevor ich ein Verständnis von Genre hatte, hat Genre natürlich immer mein Schreiben geprägt, auch wenn es mir nicht in dem Ausmaß bewusst war, wie heute. Ich kann mich nicht erinnern, jemals etwas geschrieben zu haben, in dem nicht das Übernatürliche irgendeine Rolle gespielt hat. Drachen, Elfen und Zwerge bevölkern schon immer meine Welten mit phantastischen, immer auf –a endenden Städtenamen, wie sie die Bücher bevölkern, die ich gelesen habe. Natürlich sind meine Geschichten gewissen grundlegenden Plots, wie der Queste und der Heldenreise oder der Heldenwanderung, so natürlich gefolgt, als gäbe es keine anderen Arten, Geschichten zu erzählen. (Und eigentlich überhaupt keine anderen Geschichten. Und wenn, dann sind die nichts für mich.) Fantasy, also Urban und High Fantasy, ist meine schriftstellerische Komfortzone, das, was ich liebe und wo ich das Gefühl habe: „Hier kenne ich mich aus.“
Aber Moment. Was bedeutet das eigentlich: „Ich kenne mich aus“?
Ich glaube, es bedeutet Positives und Negatives.
Was das bedeutet, merke ich gerade an zwei neuen Projekten, die die Frechheit besessen haben, meine klassischen Vorlieben zu sprengen. Das eine, das gerade auf der Tagesordnung steht, ist eine eher für Jugendliche gedachte Geschichte, die während der georgianischen Zeit in England spielt, und, surprise, surprise, magische Elemente enthält. Das Gehirnareal für Genre-Einteilung, das ich jetzt nur noch schwer stoppen kann, ordnet ein: Historische Fantasy. Im Schreibnacht-Forum um Rat fragend, hat sich ergeben: Steampunk klappt als Label wohl auch ganz gut.

Problem: Ich habe genau 0 Werke historische Fantasy gelesen. Und genau ein Steampunk-Werk (His Dark Materials).
Ich kenne mich also nicht aus. Keine Ahnung, was so typischerweise die Ästhetik von historischer Fantasy und von Steampunk aussieht. Keine Ahnung, welche Arten von Magie da vorstellbar sind. Keine Ahnung, ob und wenn ja: was für magische Wesen solche historischen Dampf- und Zahnradwelten bevölkern.
Ist doch gut, oder? Ich bin quasi unbelastet von der Klischee-Kiste, die jedes Genre mit sich schleppt. Einerseits ja. Andererseits ist mein drängendstes Problem tatsächlich genau das: Ich habe keine Ahnung, ob es nicht schon Werke gibt, die viel zu ähnlich zu meinem sind. (Erste Ideen zu einem Thema sind ja oft ziemlich naheliegende und banale Ideen.) Vielleicht fühlt sich mein Projekt nur für mich so frisch und unverbraucht an, weil ich quasi das erste historische Fantasy-Werk, das ich lese, selbst schreibe. Meine Landkarte auf diesem Gebiet ist leer, ich kann also nur überrascht werden – wo andere vielleicht schon längst gelangweilt gähnen.
Das ist aber eben auch das Aufregende, dass ich keine Standardlösungen kenne (außer die, die es in „meinen“ Genres gibt). Das heißt zunächst einfach nur, ich kenne keine Standardlösungen, nicht mehr und nicht weniger. Vielleicht verwende ich dann keine. Vielleicht verwende ich aber auch die allerabgedroschensten und merke es nicht einmal, einfach, weil sie naheliegend sind.

Es fühlt sich ein bisschen so an, als würde man eine von Berty Bott’s Bohnen jeglicher Geschmacksrichtung essen. Bei meinem aktuellen Projekt kann jetzt, gefühlt, wirklich alles herauskommen: entweder abgedroschener Kitsch oder etwas ganz Neues, oder, wahrscheinlicher, eine wilde Mischung von beidem. (Wovor ich ehrlich gesagt am meisten Angst habe, ist, dass es eine billige Übertragung aus „meinen“ Genres in ein neues Setting wird.)
In jedem Fall lässt einen das Schreiben in einem Genre, das man selbst nicht liest, ein paar Filter im Gehirn – einfach weglassen. Das finde ich gerade enorm aufregend. Und deshalb lasse ich mir gerade einfach mal den Spaß, Bohnen zu futtern, von deren Geschmack ich keine Ahnung habe. Mal sehen, was dabei herauskommt. Vielleicht einfach die gute, alte Vanille – vielleicht aber zur Abwechslung auch mal Seegurke.
Dass es in jedem Fall trotzdem eine feine, eigene Note von mir selbst tragen wird, darauf vertraue ich einfach.

Und wie steht’s bei euch? Würdet ihr es wagen, ein Genre zu schreiben, das ihr nicht lest? Habt ihr es schon einmal gewagt? Welchen Geschmack hatte eure Bohne?

Über die Autorin: Lea Sager wurde 1993 in Regensburg geboren und arbeitet dort als Kirchenhistorikerin. Die teils skurrilen Persönlichkeiten und Philosophien der Spätantike sind dabei immer wieder Zündfunken für Figuren und Geschichten, in denen man dem Übernatürlichen begegnet. Neben ersten eigenen Schreibversuchen ist hier auch ein Blog über phantastische Literatur im Aufbau.

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Gastbeitrag: Schreiben! Aber wo anfangen?

Wer hatte auch schon mal dieses Gefühl? Man verliert sich in der wunderbaren Welt der Bücher, liest fantastische Geschichten und ist überwältigt von den Gefühlen, die sie in einem auslösen. Und dann keimt ein Gedanke auf: „Ich will auch ein Buch schreiben.“

Ihr hattet bestimmt schon mal die ein oder andere Idee, habt euch Notizen gemacht oder vielleicht sogar ein paar Seiten geschrieben. Aber dann schaut ihr auf die Bücher in euren Regalen mit 200-700 Seiten voller Wörter und verzweifelt an der Herkules-Aufgabe, die ich euch selbst auferlegt habt. Gerade dann müsst ihr aber immer dran denken: Jedes dieser Bücher fing an mit einer Idee und einer einzigen Seite.

Zunächst müsst ihr euch klar sein, was für eine Art Schreiberling ihr seid. Ein Planer, wie der Name schon sagt, plant (plottet) seine Geschichte von Anfang bis Ende durch und baut sich damit ein Gerüst, um das er nur noch herum bauen muss. Ein sogenannter Discovery Writer hat ein leeres Dokument vor sich und schreibt einfach drauf los. Eine Mischung aus beidem baut sich einige grobe Stützpfeiler aus Notizen und der Rest entsteht aus dem Nichts. Es gibt viele Schreibratgeber, aber sich blind an einen halten wird nichts nützen, wenn er nicht eurem Stil entspricht.

Dann gilt es, eine Routine aufzubauen. Das ist natürlich leichter gesagt, als getan. Ich habe mal von einem Autor gelesen, der jeden Tag sechs Seiten geschrieben hat, komme was da wolle. Aber wie macht man das, wenn man das Schreiben, seinen Brotjob, Haushalt, Freunde und Familie unter einen Hut bringen will? Sechs Seiten sind für den Anfang eine ganze Menge, deswegen sollte man auch hier klein anfangen. Aus drei Tagen die Woche mit einer halben Seite wird schnell eine Seite pro Tag und so weiter. Ein festes und realistisches Wörterziel bis zu einem gewissen Zeitpunkt kann auch wahre Wunder wirken. Wichtig ist, dass man sich eine feste Zeit aussucht, in der man sich nur dem Schreiben widmet. Im besten Fall in einem stillen Raum ohne Ablenkungen. Schon bald habt ihr eine Routine und das Schreiben ist so alltäglich wie das Mittagessen.

All das kann einen jedoch nicht vor dem größten Feind eines jeden Schreibers schützen: Selbstzweifel. Kann das, was ich schreibe, überhaupt so gut sein, wie das, was andere machen? Diese Leute haben so viele Bücher veröffentlicht und ich bin nur irgendwer, oder?

Und wenn sich diese Gedanken weiter steigern nennt man das „Imposter Syndrom“. Zu glauben, man kann sich selbst nicht „AutorIn“ nennen, denn alle anderen sind die Echten und man selbst ist bloß ein Betrüger, ein Imposter. Aber das ist Schwachsinn. Wen ihr etwas schreibt, seid ihr AutorInnen. Sei es Poesie, Kurzgeschichten, oder ein Roman. Das Veröffentlichen ist bloß der nächste Schritt. Natürlich gibt es auch AutorInnen die nur für sich selbst schreiben und gar nichts veröffentlichen wollen.

Wichtig ist, dass man sich klar macht, dass das Geschriebene nicht sofort perfekt sein muss. Ihr könnt euch darauf einstellen, dass ihr noch viel verbessern, löschen und hinzufügen werdet, bevor ihr wirklich fertig seid. Euren sogenannten „First Draft“ aber zu Papier gebracht zu haben ist eine große Leistung und von da an ist es nicht mehr weit, bis zu einem fertigen Roman und eurer ersten Veröffentlichung. Schon das erste Wort auf einem leeren Manuskript ist ein großer Schritt in Richtung des unbeschreiblichen Gefühls, euer eigenes Buch in Händen zu halten.

Über den Autor: Eli Quinn, geboren am 04.06.1992, begeisterte sich schon früh für erzählte wie niedergeschriebene Geschichten und träumte davon, eines Tages selbst die Massen zu begeistern. Er verfasste bereits kleinere Texte in den Genres Phantastik und Science Fiction, die noch auf ihre Chance warten, veröffentlicht zu werden. Mit seiner Kurzgeschichte „Weltenkeller“ in der Anthologie „Maschinen“ herausgegeben von Martin Witzgall und Felix Woitkowski hatte er sein Autorendebüt.
Mehr zum Autor findet Ihr hier.

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Gastbeitrag: Kunstwürdigung in der Literatur

Kultur ist ein wichtiger Bestandteil des menschlichen Lebens. Menschen, die keinerlei künstlerische, musikalische oder literarische Vorlieben haben und die nie von diesen beeinflusst wurden, sind schwer vorstellbar, und wenn doch, dann nur mit einem bitteren Beigeschmack. Das bedeutet, dass jede*r Kunstschaffende die eigenen Werke auf einem Unterbau fremder Werke errichtet. Viel zu selten wird diese Gegebenheit in Literatur eingearbeitet. Dabei gibt es viele Argumente dafür.

Charakterisierung

Die Charakterisierung von Figuren kann beispielsweise vertieft werden, wenn man ihnen Kunstwerke beigibt: einen Lieblingssong, ein Lieblingsbuch oder einige Bilder, die sie in ihrer Wohnung aufgehängt haben. So könnte man einen Charakter untermauern. Eine Professorin, die klassische Musik hört, wirkt zunächst nicht viel anders als die gleiche Professorin, deren Musikgeschmack unerwähnt bleibt, es sei denn, sie ist wirklich begeistert davon. Gibt man ihr Goethe zu lesen, wirkt sie altmodischer und konservativer, als wenn sie Brecht liest. Legt man ihr Fifty Shades of Grey auf den Nachttisch, wird es interessant. Es entsteht ein gewisser Widerspruch. Ein Klischee wird gebrochen und die Leserschaft könnte sie sympathischer finden. Größere Widersprüche innerhalb der beigegebenen Kunstwerke könnten als Anzeichen für die Unentschlossenheit einer Figur genutzt werden. Hört jemand erst Mozart, dann Die Ärzte, springt zu Black Metal und danach zu Happy Hardcore, ist er offenbar nicht in der Stimmung für eine bestimmte Musikrichtung, sondern entweder für alle auf einmal oder für gar keine. Innerhalb eines passenden Kontexts verstärkt also die Musikauswahl, wie deutlich der Leserschaft das Innenleben der Figur bewusst wird, und das ohne es beispielsweise durch eine Innensicht direkt zu benennen. Auf der Meta-Ebene könnte man außerdem Parallelen suchen zwischen Werken, die rund um die Figur auftauchen, und der Figur selbst. Dies könnten Charaktereigenschaften der Schöpfer*innen der beigegebenen Werke oder ihrer Figuren sein, Wohnorte oder Verhaltensweisen. Dadurch kann die Geschichte an Tiefe gewinnen, weil eine Interpretationsebene hinzukommt.

Doch nicht nur Figuren kann man durch die Verbauung von Kunstwerken charakterisieren, sondern auch sich selbst. Zieht man Parallelen zwischen sich und literarischen Vorläufern? Möchte man sich auf diese Weise ins eigene Werk einschleichen? In dem Fall werden vermutlich Dinge gewählt, die der/dem Schreibenden gefallen. Das führt direkt zum Punkt der Förderung anderer. Kunst, die man liebt, möchte man mit der Welt teilen. Eine Verarbeitung in einer Geschichte wäre eine passende Würdigung und eine unaufdringliche Werbung. Warum sollte man nur klassische und bekannte Werke wählen? Legt den Figuren Selfpublisherbücher in die Hand! Nachteil davon wäre allerdings, dass die Figurencharakterisierung durch den geringeren Bekanntheitsgrad schlechter unterstützt würde. Eine Kombination vielleicht? Die Figur geht ihr Bücherregal ab, liest mehrere Titel (unter anderem von unbekannten Autor*innen) und entscheidet sich dann für ein bekanntes Buch, das den Charakter unterstreicht.

Wer gerne experimentell schreibt, könnte eigene Werke auftauchen lassen, um einen Ideenkreis zu schließen oder Selbstironie einzubauen. Eure Figuren müssen eure bisherigen Bücher nicht mögen. Fans oder Literaturkritiker*innen könnte man damit ein Lachen aufzwingen.

Foreshadowing

Ein weiterer Nutzen der Erwähnung fremder Kunstwerke könnte das sogenannte Foreshadowing sein. Man deutet unauffällig das Ende der Geschichte an und zwar zu einem Zeitpunkt, an dem die Verbindung noch nicht hergestellt werden kann. Vielleicht läuft anfangs ein Song von Joy Division und am Ende erhängt sich eine Figur. (Anmerkung: Ian Curtis, Sänger von Joy Division, hat sich mit 23 erhängt.) Dieses Beispiel zeigt eine sehr vage Verbindung, aber man kann es nach Belieben deutlicher gestalten. Wird das Foreshadowing richtig angewendet, entsteht ein Gefühl von Schicksalhaftigkeit und im besten Fall ein Aha-Effekt im Nachhinein. Wieder gewönne die Geschichte an Tiefe.

Bildungsauftrag

Es gibt noch einen ganz anderen Grund, um Kunst zu verbauen. Über den kann man allerdings streiten. Haben Kunstschaffende einen Bildungsauftrag gegenüber dem Publikum? Sieht man es so, kann man der Leserschaft Bildung einflößen, ohne dass sie es merkt. Hier muss man gut aufpassen, dass der Plot nicht gestört wird und die Geschichte nicht zu einem langweiligen Vortrag verkommt. Daher gehe ich lieber direkt weiter.

Atmosphäre

Malerei eignet sich besonders gut, um einem Raum Atmosphäre zu geben. Die Beschreibung eines dunklen Porträts in einem alten Schloss unterstützt eine gruselige Stimmung, sofern sie gelungen ist. Sollte es für die Geschichte nicht notwendig sein, dass eine bestimmte Figur (beispielsweise der Graf, der das Schloss bewohnt, oder ein Vorfahr) dargestellt wird, stünde doch nichts im Wege, ein bestehendes Bild zu verwenden. Auch hier gelten die gleichen Argumente wie oben.

Was ist zu beachten?

Es gibt aber auch einiges zu beachten, wenn man existierende Bilder, Musik oder Bücher ins eigene Werk einbauen möchte. Man sollte aufpassen, dass man nicht zu dick aufträgt. Wissen kann nicht vorausgesetzt werden. Eine Charakterisierung sollte beispielsweise nicht zentral auf einem Gesang aus Dantes Comedia fußen und Bilder sollten auch beschrieben werden, wenn man meint, jede*r kenne es. Plustert man sich auf und gibt mit der eigenen Bildung an, verliert man ganz schnell das Interesse des Publikums. Daher: erwähnen und einbauen, aber nicht zur notwendigen Voraussetzung der Story machen!

Ganz wichtig an dieser Stelle ist der Hinweis auf die Urheberrechte. Bilder zu beschreiben und Namen zu nennen, stellt kein Problem dar. Ohne Erlaubnis Literatur oder Songtexte zu zitieren, führt aber schnell zu Schwierigkeiten. Niemand möchte von einem Weltkonzern oder Autorenkolleg*innen verklagt werden. Das Recht, Textstellen zu verwenden, kann bei Verlagen angefragt und erworben werden. Nicht überall geht das, aber einige Verlage sind zuvorkommend. Musikrechte sind allerdings ein ganz anderes Thema und sehr viel komplexer, da die Rechte für einen Song häufig bei mehreren Einzelpersonen und auch noch mehreren Firmen liegen. Insgesamt würde ich auf direkte Zitate verzichten, weil es einerseits sicherer und andererseits meist stilvoller ist.

Manche Genres verbieten die Erwähnung existierender Kunstwerke, da sie in einer anderen Realität angesiedelt sind. Ein Fantasy-Roman, für den eine komplett eigene Welt erfunden wurde, kann ein Justin Bieber Poster im Zimmer der Prinzessin nicht vertragen. In anderen Genres sollte man ebenfalls vorsichtig sein: in Kinder- oder Jugendliteratur könnten die erwähnten Elemente überfordern oder einfach langweilen und stören.

Filme wurden bisher noch gar nicht erwähnt, aber diese aufzunehmen funktioniert natürlich nach den gleichen Prinzipien wie bei allen anderen Kunstwerken. Auch das Thema der versteckten Hommage sollte wenigstens angeschnitten werden. Umberto Eco nannte den blinden Bibliothekar in Il nome della rosa Jorge als Hommage an den Schriftsteller Jorge Luis Borges, der am Ende seines Lebens erblindete und dennoch die argentinische Nationalbibliothek leitete. Auch beschäftigte sich Borges in seinem Werk viel mit Labyrinthen, was zum labyrinthischen Aufbau der Klosterbibliothek in Ecos Buch passt. Die Bezüge und Einarbeitungen gehen noch sehr viel weiter, aber als Beispiel sollte das reichen. Man muss Elemente und Ebenen geschickt verweben können, um Derartiges zu schaffen. Einer durchschnittlichen Leserschaft, die sich für die Unterhaltung beim Lesen und nicht für tiefergehende Interpretation interessiert, sind solche Details kein Gewinn (aber auch kein Verlust). Sie zeigen jedoch die Tiefe der Geschichte, die enorme Arbeit, die in die Entstehung gesteckt wurde, und was man alles finden kann, wenn man sich die Zeit nimmt, um über Kunst nachzudenken.

Welche Kunstform und welche Kunstwerke letztendlich am besten in eine Geschichte passen, muss jede*r Autor*in selbst entscheiden. Bilder eignen sich gut, da sie relativ leicht beschrieben werden können, während dies bei Musik mehr Geschick erfordert. Vermutlich kann man die Lesenden am besten abholen, wo sie sich bereits befinden: in der Literatur. Wenn man eines über Leser*innen weiß, dann ist es, dass sie lesen. Bezüge zu anderen Werken der Literatur erscheinen als die offensichtlichste Wahl, aber die Künste sind vielfältig und die Auswahl ist endlos.

Über den Autor: Matthias Thurau ist Autor („Sorck: Ein Reiseroman“, „Alte Milch: Gedichte“), Blogger (papierkrieg.blog) und Mitglied der Autorengruppe Nikas Erben.